Kleines
„Startup“ im Frankfurter Westend
Im Herbst 1934 entschloss sich der Kaufmann Fritz
Segner (Foto rechts), in Frankfurt eine kleine Kosmetikfirma
unter dem
Namen „Henry M. Betrix“ zu gründen.
Juliane Segner, die Schwiegertochter des
Firmengründers, erinnert sich: „Mein Schwiegervater
hatte zuvor in einer
Parfümerie in der Goethestraße in Frankfurt
angefangen, Cremes herzustellen. Weil
das immer besser lief, machte er sich Gedanken über
einen Produktnamen.
Während
einer Reise nach New York lernte er einen Henry Betrix kennen. Da kam
ihm der
Gedanke, diesen außergewöhnlichen Namen zu
verwenden. Henry erschien ihm dann
aber als Produktname für Frauen nicht geeignet, doch die
Schwester dieses Henry
hieß Ellen!“
Schon ein Jahr später
(1935) ließ Segner „Ellen Betrix“ als
Warenzeichen
beim Reichspatentamt eintragen. Das Logo sollte der
„Unterschrift einer Dame“
gleichen und wurde mit einem fünfzackigen Krönchen
verziert (Foto links),
um eine gewisse „Noblesse“ anzudeuten. Die
Firmengeschichte gab dem Gründer
recht: Name und Logo funktionierten über Jahrzehnte
einwandfrei.
In den ersten Jahren wurde
zunächst eine Serie mit fünf Produkten
vertrieben, die von neun Mitarbeitern hergestellt wurden. 1939 waren
die
Frankfurter Pioniere damit immerhin schon so erfolgreich, dass man in
das
renommierte Frankfurter Westend (Niedenau, Foto rechts
– das Gebäude
existiert heute nicht mehr) umziehen konnte. Bis 1940 hatte
es Ellen Betrix
geschafft, die großen Parfümerien in Berlin und
anderen Großstädten als Kunden
zu gewinnen, sagt die Firmenchronik. Dann forderte der Krieg eine
Zwangspause.
Erst 1949 waren wieder
genügend Rohstoffe verfügbar, um die Produktion
aufzunehmen. Zum Glück war das Stammhaus im Westend verschont
geblieben. Es
diente als Wohnhaus der Familie und Firmensitz gleichermaßen.
Im Souterrain
wurde das Labor (siehe Foto links)
eingerichtet und
das Lager bestückt,
im Parterre
abgefüllt, verpackt und verwaltet.
Der Wohlstand wächst und
man putzt
sich heraus
Ellen Betrix musste
und konnte sich schnell am Markt behaupten und bereits nach wenigen
Jahren mit den
damals bekannten Marken wie Elisabeth Arden und Elise Bock messen. Das Frankfurter
„Startup“ in der Niedenau produzierte vor allem Nagellack,
Lippenstift, flüssiges
Rouge oder
Schönheits-Milch (Rezept siehe Bild oben).
Zu Grundausstattung in einer
Parfümerie
gehörten zu jener Zeit noch überwiegend Pflege- und
Hygieneprodukte wie Zahnpasta,
Mundwasser, Schwimmseife, Büstencreme, Hormoncreme,
Mottenkugeln oder
Badekristalle. Mit dem wachsenden Wohlstand jedoch füllten
sich die Regale zusehends
mit Schönheitskosmetik. Unsere
Abbildung
rechts zeigt das älteste erhaltene
Schaufensterplakat der Betrix-Produkte
von 1950 für die Creme Exclusiv.
Das Wachstum spiegelte sich bald in
den Bilanzen
wieder: 1954 knackte EB seine erste Umsatzmillion und der
spätere Firmenchef
und Sohn des Inhabers, Klaus Segner, wurde persönlich
haftender Gesellschafter.
Auf der Suche nach einer
größeren
Bleibe
Aber noch etwas hatte das
exponentielle
Wachstum zur Folge: Die Räume im Westend wurden zu eng. Die
Firmenleitung
suchte nun im Umfeld von Frankfurt nach einem Grundstück und
wurde 1958 schließlich
fündig. „Ein Bekannter hatte eine Firma in
Sprendlingen und machte uns auf
diesen Standort aufmerksam“, erinnert sich Juliane Segner.
Die Stadt bot dem
Unternehmen eine große Fläche an der Frankfurter
Straße an, das auch noch
verkehrsgünstig lag. Ellen Betrix wiederum beeindruckte den
Magistrat mit Erfolgsaussichten:
„Wir befassen uns mit der Herstellung von Kosmetikprodukten,
die von uns an 700
bis 800 Depots in der Bundesrepublik Deutschland geliefert
werden“, hieß es in
einem Antrag. Die Firma versprach in den Verhandlungen, nicht nur die
Produktion, sondern später auch die Verwaltung nach
Sprendlingen zu verlegen.
Bürgermeister Banse erhoffte sich viel von den Frankfurtern und ließ sogar andere Bewerber abblitzen: Für den damals nicht ungewöhnlichen Preis von 3,50 DM pro Quadratmeter (heute nach Bodenrichtwert 240 Euro) verkaufte die Stadt im Herbst 1958 das 6.500 m2 große Grundstück am Ende der Frankfurter Straße und läutete damit die Sprendlinger Phase der Ellen Betrix ein, die schließlich 30 Jahre dauern sollte.
Teil 2 (1959
bis 1984): Cocktails, Sonnencreme und drei neue Türme
1959: Der Umzug
nach Sprendlingen
Laborleiterin Gisela Ihne atmete im November 1958 auf. Endlich zog der Kosmetikhersteller Ellen Betrix von Frankfurt in die neuen Hallen an der Robert-Bosch-Straße in Sprendlingen. „In der Niedenau war es am Schluss ja so eng, dass wir ständig blaue Flecken hatten“, erinnert sich die Laborleiterin in einer Firmenschrift. Auf dem großzügigen Gelände in Sprendlingen konnte man sich sogar optische Spielereien erlauben: Die Flachbauten bildeten von oben gesehen den Buchstaben E. Im Laufe der vielen Erweiterungen verschwanden diese Container allerdings dann völlig.
Mit den
mächtigen zwei Türmen wuchs EB Ellen Betrix 1971 nach
oben hinaus. Die Familie Segner wohnte in einem Penthaus auf dem Dach
eines Gebäudes im Werk 1. An der Offenbacher
Straße entstand das Werk 2, und an der
Luise-Meitner-Straße das Werk 3. 1979 wurde das neue
Verwaltungs- und Produktionsgebäude an der Frankfurter
Straße eingeweiht. Das Gebäude
wurde zu einem der imposantesten in Sprendlingen der 70er Jahre
zählte. 1986 wurde in Werk 3 ein modernes Hochregallager
erbaut. Eine Karte
zeigt die Lage der drei Ellen Betrix-Werke im Industriegebiet von
Sprendlingen. Vom
ersten
„gesitteten“ Slogan „Kostbar wie ein
Juwel“ wandelten sich natürlich auch die
Werbesprüche und spiegeln gesellschaftliche Trends wider. Und
so hieß es dann
schon in den 70ern gar nicht mehr so brav “sweet and
sexy“. Außerdem zeigte man
immer mehr Haut und den Reisewellen folgten die passenden
Sonnenpräparate
„Adriabraun“ oder „Ultrabraun“. Einen
Überblick
über den Wandel der Kosmetik und der
Schminkvorschläge findet sich im
Jubiläumsheft von 1984. Hieraus sehen Sie hier einen Auszug
mit kommentierten
Fotos, der den Make-Up-Style von 1965 bis 1984 abbildet. Bild links, 1978: Die große
Zeit der Sonnencremes und des Themas
Lichtschutzfaktor Zu
Beginn des
Jahres 1973 wurde für rund 5 Millionen DM ein Neubau mit 7000
qm errichtet. Die
Gesamtfläche für Verwaltung, Betrieb und Lager betrug
nun 28.000 qm. Im
Jahrespressebericht wurde in diesem Zusammenhang betont, dass es keine
fremden
Kapitalbeteiligungen dafür gegeben habe. Juliane Segner
(Ehefrau von Klaus
Segner) erklärt das aus heutiger Sicht zurückhaltend
anmutende Geschäftsgebaren
ihres Mannes und auch des Schwiegervaters: „Das waren eben
konservative
Kaufleute. Für die kamen Kredite nicht in Frage. Geld konnte
erst ausgegeben
werden, wenn es erwirtschaftet war.“ 17 Uhr Cocktails:
Sehen und gesehen werden auf den legendären Pressekonferenzen In
den „fetten“
Jahren war Ellen Betrix so populär, dass man von
gesellschaftlichen Ereignissen
sprechen konnte, wenn die Firma ihre Pressekonferenzen veranstaltete.
Neben der
Präsentation der Unternehmenszahlen, neuen Make-Ups und
Düften, dem Darreichen
von Häppchen und Cocktails sorgten Fotoshootings mit Prominenz
für zusätzlichen
Glanz. Die Partylaune der 70er kam auch bei Ellen Betrix zur Wirkung
und
Einladungen für
die Pressevertreter begannen damals mit dem Tagesordnungspunkt:
„17 Uhr
Cocktails“. Auch die Orte wurden den großen
Ereignissen und Strömungen
angepasst: 1972 konferierte man wegen Olympia in München,
wegen
Tochtergründungen in Madrid und Barcelona oder 1982 wegen der
Zusammenarbeit
mit Laura Biagiotti in Venedig. Bild oben links: Aus dem EB-Report
vom 6. Februar 1972: Mit
erfolgreichen deutschen Sportlerinnen und Sportlern schmückte
man sich auf der
Pressekonferenz in München. Für die Hessen am
bekanntesten dürfte der mittig platzierte
Nationalspieler Jürgen Grabowski
sein, der bei
Eintracht Frankfurt spielte.
Im
Internet
finden Sie weitere Hinweise zu den Kosmetiklinien von Ellen Betrix
https://www.seeteufelchen.info/e4-ellen-betrix/
Bild rechts: Juliane Segner
und Tochter Anja haben heute noch Freude
an Produkten von Ellen BetrixEin
Wort noch zum
Betriebsklima: Viele ehemalige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
beschreiben die
Zeit bei Ellen Betrix als familiär. Der Arbeitgeber sei
großzügig gewesen und
dem damaligen Bedürfnis vieler Frauen nach Teilzeitstellen
entgegengekommen.
Wir wissen, dass heute viele Firmen ein anderes Konzept fahren und zum
Beispiel
mit Betriebskindergärten reagieren. Auch beim Betriebssport
zeigt sich noch der
Zeitgeist, denn die EB-Fußballmannschaft war noch rein
männlich. Man kickte an
der B3 (heute steht dort das Haus des Lebenslangen Lernens) und der 1.
FC Ellen
Betrix trat regelmäßig
gegen andere
Betriebsportgruppen an. Auf dem untenstehenden
Foto sieht man das Spiel gegen das Team des Chilenischen
Konsulates in
Frankfurt am 13.8.1973
und im Vordergrund Firmenchef, Klaus Segner,
beim
Einwurf.
Die
stets
aufwärts gerichtete Wachstumskurve erhielt jedoch auch in den
70ern einmal kurz
eine Delle. 1973 musste der Dreieicher Hersteller erstmals eine
Ertragsverschlechterung hinnehmen. „Die Rohstoffpreise waren
gestiegen und die
ganze Branche hatte damals Wachstumsschwierigkeiten“,
erinnert sich Juliane Segner.
Auch zeichneten sich Verwerfungen durch Fusionierung im Handelsnetz ab
und viele
kleinere Läden gaben auf. Ellen Betrix blieb aber weiterhin
die Nr. 1 der
sogenannten Depotkosmetik in Deutschland und konnte 72,7 Mio DM Umsatz
erwirtschaften.
Bild oben rechts: Nicht nur Sportler, auch Kabarettisten sorgten
für
Moderation und Unterhaltung, hier 1973 Jürgen Scheller von der
Lach- und Schießgeselllschaft,
Der
Führungswechsel
In
die 70er Jahre
fällt auch der Führungswechsel im Unternehmen: 1974
übernimmt Sohn Klaus J.
Segner die Geschäfte und leitet ab nun das Unternehmen noch
weitere 15 Jahre.
Die Familie Segner lebte inzwischen auch in Dreieich und die
Verbundenheit zur
Stadt drückte sich nicht nur durch üppige
Gewerbesteuer sondern auch immer
wieder in Form großzügiger Spenden aus: sei es ein
teures Polizeimotorrad oder
eine kunstvolle Plastik vor der Stadtbücherei.
Die
hauseigenen
Kreationen dieser Zeit konnten sich durchaus mit anderen
großen Marken messen.
Es waren typische Düfte der 70er/80er Jahre mit
Chypre-Akkorden oder
orientalischen Noten im entsprechenden Flakon- und Verpackungsdesign.
Doch über
diese gute handwerkliche Arbeit hinaus musste Ellen Betrix an seinem
„Branding“ arbeiten
und begann über seine Tochterfirma Eurocos international
bekannte „Namen“ und
Düfte einzukaufen wie Hugo Boss oder Laura Biagiotti.
Für das
50jährige Jubiläum wurde das Bürgerhaus
angemietet und mit Prominenz und
Rückblicken auf die erfolgreiche Zeit angestoßen.
Die 1984er-Bilanz konnte sich
außerdem sehen lassen: 200 Millionen Umsatz, seit 12 Jahren
Nr. 1 der
Depotkosmetik, fast 1000 Mitarbeiter im Inland und noch einmal 400 bei
den
Tochterfirmen im Ausland. Noch ahnte niemand in der Feierlaune, dass
die
letzten fünf Jahre des Familienunternehmens angebrochen waren. Mehr dazu im dritten und letzten Teil
unserer Ellen-Betrix-Story…
Zum
großen Jubiläum von 1984 gehörte auch eine
Modenschau in den Outfits der
letzten 50 Jahre. Die beiden Herren sind Firmengründer Fritz
Segner
(links) und sein Sohn und Nachfolger Klaus Segner, rechts.
Sektlaune in
Sprendlingen: Ellen
Betrix feierte 1984 das 50jährige, die Korken knallten im
Bürgerhaus. In den
folgenden zwei Jahren ging es mondän weiter und die Firma
zeigte Upper-Class-Präsenz
in Frankfurt, stiftete Preise und Pokale für den Pferdesport.
Im Rennklub
Frankfurt am Main kämpften Ross und Reiter 1986 und 1987 um
den sogenannten Henry-M-Betrix-Pokal
und schafften es damit bis in die Klatschspalten der
BILD-Zeitung.
Was
führte
zum Verkauf?
Trotz schwarzer Zahlen stauten sich
auch Probleme auf: die
ungelöste Nachfolge innerhalb der Familie, wachsender
Konkurrenzdruck und
Konflikte mit dem Betriebsrat. „Ein ‚Weiter
so‘ als Familienbetrieb war damals
einfach nicht die Option“, sagt Juliane Segner im
Rückblick. Auch Wulf-Dieter
Preiß, der damalige Personalchef, bestätigt dies.
Aber er sagt auch: „Ellen
Betrix war 1989 ein gesundes Unternehmen und hätte als
mittelständischer
Betrieb weiter existieren können. Die
Geschäftsführung hätte man einer externen
Person übertragen können.“
Doch die Zukunftsprognosen wurden
eben nicht von allen rosig
gesehen. Es wären über kurz oder lang
größere Investitionen in neue
Technologien nötig gewesen und „dieses finanzielle
Risiko erschien der
Geschäftsführung zu groß“,
erinnert sich Juliane Segner. Dies alles zusammen
ließ beim Firmenchef Klaus Segner immer mehr den Gedanken
reifen, das
Unternehmen zu verkaufen.
Die Unterschrift, die
das Ende des Familienbetriebes
besiegelte: Klaus Segner (Mitte) unterzeichnet den Verkauf von Ellen
Betrix an
den US-Kosmetikhersteller Revlon.
In diese Gemengelage kamen
außerdem nun Angebote für
Übernahmen. „Revlon kam damals auf Ellen Betrix
zu,“ erinnert sich Tim Segner.
Zunächst sei mit dem US-Konzern vereinbart worden, dass sein
Vater noch 3 Jahre
in der Geschäftsführung bleiben sollte, doch dies
wurde dann schon 1990 vorzeitig
aufgelöst. Bei den Betrix-Standorten fächerte sich
nun die Nutzung auf: „Von
den ehemaligen EB-Gebäuden übernahm Revlon nur Werk
1. In Werk 3 ließ VW
Autozubehör lagern. Und das vollautomatische Lager aus der
Betrix-Zeit wurde
noch eine zeitlang von Procter&Gamble genutzt“, sagt
Segner.
1989: Stadt
Dreieich muss Steuern zurückzahlen
Bisher hatte Ellen Betrix der Stadt Dreieich ein gut gefülltes Gewerbesteuersäckel beschert. Nun sorgte der Verkauf für einen Verlust von einigen Millionen. Im Stadtanzeiger bilanziert Klaus Segner am 15. Mai 1990, dass der Verkauf dennoch richtig gewesen sei:
Zunächst
glaubten viele Mitarbeiter, dass sich unter der
neuen US-amerikanischen Geschäftsführung im Grunde
nicht viel ändern werde.
Doch sie irrten, denn schon 2 Jahre nach dem Deal von 1989 stand
wiederum
Revlon selbst zum Verkauf. Jetzt wurde auch über die
Branchenkenner hinaus
ersichtlich, welche Strategie hinter dem Ankauf der Dreieicher Firma
gesteckt
hatte. Wulf-Dieter Preiß legt den Finger in die Wunde:
„Revlon hatte sich mit dem
Kauf von Ellen Betrix nur aufgehübscht für den
Markt.“ Die US-Company Revlon
sei nämlich vor 1989 nicht in bester Verfassung gewesen.
„Mit einem gesunden
Unternehmen wie Ellen Betrix konnte man sich am Markt attraktiver
machen!“ Und tatsächlich
stürzte sich nun ein Gigant der Branche auf die
„aufgehübschte“ Braut und seine
Marken.
1991 übernahm also
US-Marktriese Procter &
Gamble von Revlon den Dreieicher Kosmetikhersteller. Der Kauf
beinhaltete auch
die Lizenzen für die populären Ellen-Betrix-Marken
Hugo Boss & Laura
Biagiotti. Die Zukunftssorgen im Unternehmen und beim Betriebsrat
wuchsen, denn
die Mitarbeiter bekamen nur noch befristete Verträge vom neuen
Arbeitgeber.
Für Wulf-Dieter
Preiß sieht die bittere Wahrheit heute so
aus: „Als Procter&Gamble übernahm,
ließ man noch eine kurze Schonfrist
verstreichen und schloss dann nach und nach den Standort Dreieich. Hier
zeigte
der globale Kapitalismus seine hässliche Fratze.“
Ellen Betrix sei auch nicht
an seinem Wachstum gescheitert. „Man hätte
über Sanierung und Modernisierung durchaus
reden können, aber man hätte nicht einfach ohne Not
1000 Leute entlassen
müssen!“
Der Abbau vollzog sich in drei
Schritten. Im September 1995
titelten die Lokalzeitungen „270 Arbeitsplätze
werden abgebaut“ und der
Betriebsrat drückte die Wut der Belegschaft aus:
„Uns reicht’s jetzt! Wir
wollen endlich die ganze Wahrheit wissen!“
Informationsblatt des Betriebsrates Oktober 1995
Die Dreieicher Politik erkannte nun auch, was der Stadt und
den Mitarbeitern drohte, und verfasste im Dezember 1995 eine Resolution:
Offenbach-Post,
7. Dezember 1995
1996:
Alle Befürchtungen werden wahr und 540 Jobs gehen verloren
Die Resolution der Dreieicher Politiker bleibt wirkungslos und das Jahr 1996 beginnt mit den befürchteten Horrormeldungen: Die gesamte Produktion wird nach England verlagert. Am 26. Januar 1996 titelten die Medien „Betrix schminkt ab: 540 Jobs weg!“ (BILD), „Ellen Betrix entlässt noch einmal 270 Beschäftigte“ (Frankfurter Rundschau) und in der Offenbach-Post vom 26.1.1996 war zu lesen: "Katastrophe für die Mitarbeiter:, Betrix streicht schon wieder 270 Arbeitsplätze. Damit gehe in diesem Jahr 540 Stellen verloren"
Bürgermeister Abeln
äußert sich klar und empört, aber
letztlich wirkungslos:
Dreieich-Spiegel
Nun vollzog sich das, was Wulf-Dieter
Preiß „das Trauma für
die Stadt Dreieich“ nennt. Er selbst hatte bereits
gekündigt, „denn ich wollte
als Personalchef nicht aktiv an dieser schlimmen Entlassungswelle
mitwirken“.
Seine Erfahrung steckte er lieber in die
Beratung von Arbeitslosen in dem von
ihm mit gegründeten ÖAI-Cafe, einer
ökumenischen Initiative in der St. Laurentius-Kirche
in Sprendlingen. Schließlich war klar, dass viele der
entlassenen Frauen nur
schwer einen neuen Arbeitsplatz finden würden. Die
ökumenische Arbeitsloseninitiative gibt es heute
noch und ist damit auch ein „Erbe“ der
Ellen-Betrix-Geschichte (Klick aufs Logo: Website der ÖAI).
2009:
Endgültige
Schließung des Standortes Sprendlingen
Noch 13 Jahre dauerte es, bis der
Vorhanges fiel. Am 3. März
2009 wurde das endgültige ‚Aus‘ von der
Öffentlichkeit verbittert aber
inzwischen unaufgeregter wahrgenommen. Verblieben waren in Sprendlingen
ohnehin
nur noch 200 Zeitarbeitsplätze in der Logistik. Doch bereits
2007 hatte
Procter
& Gamble angekündigt, dieses
„Distributionszentrum“ zu Wella, die inzwischen
ebenfalls zu P&G gehörten,
nach Weiterstadt zu verlegen.
Die Offenbach-Post schrieb:
„Procter
& Gamble hat mit Wirkung zum 1. März sein im
Sprendlinger Industriegebiet
verbliebenes Logistik-Center nach Weiterstadt verlegt und im Rahmen
eines so
genannten Betriebsübergangs in die Firma Wella (auch ein
Procter &
Gamble-Unternehmen) integriert. Damit sind in Dreieich nicht nur 200
Arbeitsplätze - größtenteils
Zeitarbeitsplätze verloren gegangen, beendet ist
auch das Stück Dreieicher Firmengeschichte, das mit dem Umzug
des
Segner-Unternehmens Betrix von Frankfurt nach Sprendlingen seinen
Anfang
genommen hatte.“
Alles
vorbei? Nein, Ellen Betrix wirkt weiter …
Trotz des unschönen Endes
und vielen Jobverlusten: Wir
müssen festhalten, dass Ellen-Betrix unübersehbare
Spuren in der Stadt
hinterlassen hat. Die Kommune profitierte drei Jahrzehnte von den
Steuereinnahmen, es flossen Spenden für Soziale Einrichtungen
und die
Gestaltung des öffentlichen Raumes, die
Betrix-Gebäude und Produktionshallen
stehen heute noch, viele ehemalige Mitarbeiter halten Erinnerungen wach
und
eine Arbeitslosenberatung entstand. Und diese Aufzählung
erhebt keinen Anspruch
auf Vollständigkeit!
Nicht zuletzt lebt und arbeitet ein
Teil der Familie immer
noch in Dreieich (Stand 2021). Nach dem Verkauf im Jahr 1989 floss der
Erlös
hauptsächlich in Immobilien im Rhein-Main-Gebiet. Mit einer
keinen Gruppe
ehemaliger Betrix- und neuer Mitarbeiter werden diese heute in der
KS-Verwaltungsgesellschaft unter der Leitung von Tim Segner gemanagt.
2003 investierte
die KS sogar erneut und ließ den Büro-Komplex Plaza
Dreieich an der Offenbacher
Straße errichten: In Sprendlingen!