Von
der gescheiterten Kompressorfabrik zum modernen Shopping Center
Barbara Simon, Mai 2020
Mit
Ergänzungen von W. Schäfer und W. Ott
Die
großen Verbrauchermärkte im Norden Sprendlingens
haben seit
1969 eine wechselvolle Geschichte und viele Namen: zuerst Kaufpark,
dann Wertkauf, anschließend Walmart und aktuell
macht Real
dort seine Geschäfte. In den zurückliegenden 50
Jahren
bezogen vier verschiedene Konsumgüterketten die
ungewöhnlich
große Halle, die mit ihrem Zickzack-Dach und den
weitläufigen Gängen eigentlich nicht so recht zu
einem
Supermarkt passen will. Und das hat einen handfesten Grund: Die Halle
war ursprünglich für eine ganz andere Nutzung geplant
und
entstand bereits zehn Jahre früher. [Bild: Google maps
© 2020]
Nachfrage nach
Kühlschränken gab den Impuls
Im Wirtschaftswunder-Deutschland der 1950er und 1960er-Jahre stieg der
Lebensstandard der privaten Haushalte stetig an und mit ihm die
Nachfrage nach modernen Elektrogeräten wie zum Beispiel
Kühlschränken. Eine wichtige Rolle in der
Herstellungskette
spielte damals die Firma Stempel Hermetik aus Offenbach. Sie stellte
die Kompressoren für Kühlschränke unter
anderem für
Bauknecht her und beschäftigte 1200 Mitarbeiter.
Stempel
Hermetik war jedoch nur ein Zulieferer von Vielen. Ein anderer
großer Player im Kompressoren- Geschäft war Danfoss
aus
Dänemark, der 1959 bereits 30 % seiner Produkte in den
deutschen
Markt exportierte. „Im Sommer 1959 brach auf dem
deutschen
Kühlschrankmarkt ein Preiskrieg aus. Versandhäuser
und
Warenhausketten verkauften billige Kühlschränke, was
die
großen Kühlschrankproduzenten wie Bosch, Bauknecht
und Linde
maßlos irritierte, schreibt die Firma Danfoss in
ihrer Firmenchronik
(S. 27). Bauknecht kaufte daraufhin im August 1959 die Firma
Stempel-Hermetik, um selbst die Kompressorenproduktion auszubauen. Das
wiederum machte die Firmenleitung von Danfoss nervös,
„
… weil Danfoss es sich kaum leisten konnte, einen so
gewichtigen
Kunden wie Bauknecht zu verlieren.“
Danfoss baut ein
Produktionsgebäude am Standort Sprendlingen
…
Schon
einen Monat später kam es daher zum erneuten Verkauf der Firma
Stempel Hermetik – diesmal von Bauknecht an Danfoss. So
gerüstet wollte Danfoss nun die Kompressorenproduktion in
Deutschland hochfahren und fand dafür den passenden Standort
in
der Nähe des Firmensitzes von Stempel-Hermetik im
Gewerbegebiet
Sprendlingen Nord: Danfoss baute eine große Halle nach dem
Vorbild seiner Produktionsstätten in Flensburg und
Dänemark
mit dem typischen Zickzack- oder Sägezahndach. Der
Fachausdruck
dafür ist Sheddach.
Es besteht aus aufgereihten Satteldach-Aufbauten. Da deren nach Norden
gerichteten Flächen verglast sind, ist eine
gleichmäßige Beleuchtung ohne Schlagschatten
möglich.
Nachteile entstehen bei diesen Dächern hin und wieder in den
Randbereichen durch undichte Stellen.
… und gibt sie
gleich wieder auf
Die Sheddach-Halle in Sprendlingen
wurde jedoch von Danfoss nie
bezogen, denn Beschlüsse auf höchster
europäischer Ebene
beeinflussten die Firmenstrategie fundamental. Dänemark war
1959
noch kein Mitglied der EG und um die Verteuerung der Produkte
durch
Zölle zu umgehen, war von Danfoss vorgesehen, „dass
eine
Parallelproduktion sämtlicher wichtiger Waren in
Dänemark und
in Deutschland stattfinden sollte.“ 1961
beantragten jedoch
Großbritannien und Dänemark die volle Mitgliedschaft
in der
EG und das sahen die Danfoss-Chefs so: „… Nun
käme
man ja auf die richtige Seite der Zollmauer.“ 1961
kam es
zu einem unerwarteten Einbruch der Verkaufszahlen für
Kühlschrankkompressoren, der die Liquidität von
Danfoss
erheblich belastete. Und so beschloss man, sich
schnellstmöglich
“Sprendlingens zu entledigen“ und die eingekauften
Maschinen nach Flensburg umzusiedeln. (Zitate aus der Firmenchronik von
Danfoss)
Die Abbildung zeigt das Sprendlinger Industriegebiet im Zustand von 1963
Latscha eröffnet
einen Kaufpark
Die Halle blieb also
zunächst leer, wurde aber dann für einige Zeit von
Tochtergesellschaften der Zimmer AG
aus Frankfurt genutzt (Zimmer Apparatebau, Zimmer Plastik, Elomatic
Elektroindustrie, Syntex-Chemie). 1965 übernahm das englische
Unternehmen Vickers
die Anteile der Zimmer AG. 1968 aber änderte sich die Richtung
komplett: Der Branchenriese
LATSCHA
übernahm die Hälfte der Halle und beantragte
eine Nutzungsänderung für die
23.000 Quadratmeter Verkaufsfläche. Selbst DER SPIEGEL staunte
damals über diese neuen
Märkte,“… die neben
einem Hallen-Warenhaus eine integrierte Ladenstraße mit
selbstständigen Fachgeschäften“ umfassten.
In
Sprendlingen firmierte Latscha ab 1969 unter dem Namen Kaufpark. Einige
Sprendlinger können sich noch daran erinnern, dass
Karel Gott bei
der Eröffnungsfeier auftrat. Es gab eine Cafeteria und eine
damals bemerkenswerte Weinabteilung: Sie firmierte
als „Weinstraße“ und war mit
(künstlichen) Reben und Weinblättern
geschmückt.
Diese neue Art des Einkaufens brachte die Konkurrenz und die kleinen
Einzelhändler ins Schwitzen. Jedoch muss man auch anerkennen:
Die damalige Idee der Kombination von City-Warenhaus mit einem
Selbstbedienungs-Verbrauchermarkt hat bis heute Bestand.
Die nebenstehnde Abbildung aus dem Jahr 1968 zeigt die damalige
Situation: Die Halle mit den zwölf Sheddächern, das
riesige unbebaute Areal des heutigen Parkplatzes und das Heizwerk mit
Schornstein und Öltanks auf dem heutigen Parkplatz des
Möbelhauses. Auf dem Parkplatz wurden übrigens recht populäre Go-Kart-Rennen durchgeführt.
Wertkauf
übernimmt den Staffelstab
für 22 Jahre

Doch
die Branche schwächelte in den kommenden Jahren und schon 1976
musste Dieter Latscha seine 10 Kaufpark Warenhäuser an die
Karlsruher Wertkauf
Mann KG verkaufen. Nun schoben die Sprendlinger also Einkaufswagen vor
sich her auf denen stand: Wertkauf
hilft sparen. Vickers-Zimmer hatte den hinteren Teil der
Halle aufgegeben, der jetzt von Wertkauf genutzt werden konnte.
Dort befand sich damals eine zweite Etage, in der
großflächig preisgünstige Möbel
verkauft wurden und in die man über ein damals sensationelles
Laufband gelangen konnte. Eine Tankstelle war auch vorhanden. Auch OBI hatte seinen
ersten Markt in Sprendlingen auf dem Wertkauf-Gelände.
Immerhin hielt sich die Kette für 22
Jahre am
Standort und ist vielen Kunden heute noch präsent.
„Ich geh
mal schnell zum Wertk… , äh, real
…“ hört
man noch als Versprecher, weil’s sich eben doch sehr
eingeprägt hat. Um 1994 wurde übrigens der
Schornstein gesprengt
(Klick auf das Bild) und das Heizwerk mit den Tanks beseitigt.
1997 bis 2006: Das
US-Intermezzo mit Walmart
Im Jahr 1997 war es dann wieder soweit: Die 21 Wertkauf-Märkte
wurden
von der amerikanischen Handelskette Walmart
gekauft. Doch das Projekt
blieb ein Fremdkörper. Viele Sprendlinger erinnern sich auch
noch
daran, dass man als Kunde oft komplett verwirrt wurde, da die
Sortimente wieder und wieder in andere Regalstraßen
umgeräumt wurden. Ob das bewusste Verkaufsstrategie oder
Verunsicherung durch die vielen Quadratmeter war, bleibt
ungeklärt. US-Produkte und US-Mentalität passten aber
insgesamt nicht so recht in die deutsche Einkaufslandschaft und 2006
zog sich der weltgrößte Einzelhändler nach insgesamt 3 Mrd. Verlust
aus Germany
zurück und verkauft seine 85 Märkte an den deutschen
Branchenprimus Metro.
2006: Nun kaufen wir ganz
real,-
Metro kündigte beim 2006-Deal an, die 85
Walmart-Märkte in die Real-Handelskette zu
integrieren und so geschah es auch in Dreieich. Doch auch real
schwächelte immer wieder und kämpfte mit den vielen
Quadratmetern. 2011 erfolgte eine Neukonzeption des gesamten
Einkaufszentrums. Die MEC,
ein Gemeinschaftsunternehmen von Metro und ECE, übernahm das
Centermanagement und holte den französischen
Sportartikel-Hersteller Decathlon als zweiten Ankermieter neben Real
ins Boot. Dieser übernahm rund ein Viertel der Fläche
als
eigenständiges Ladengeschäft. Dennoch: "Wachstum
lässt
sich in Deutschland mit großen Warenhäusern nur
schwer
erzielen", sagte bereits 2006 ein Insider der Branche.
2020: Zukunft
für Real Dreieich ungewiss
Und tatsächlich kündigte Metro 2018 an, seine
real-Märkte verkaufen zu wollen. Doch erst zwei Jahre
später
gingen sie nach zähen Verkaufsverhandlungen im Februar 2020 an
eine russische Investorengruppe. Die neuen Besitzer wollen die
real-Gruppe filetieren: Einige Märkte werden geschlossen,
andere
sollen von Edeka und Kaufland übernommen werden, andere unter
dem
Label real,- weiterlaufen. Ob der Standort Dreieich in diesem Konzept
lukrativ genug bleibt, ist noch nicht entschieden.
2021: Real Dreieich wird Kaufland Dreieich
Im April 2021 wurde bekannt, dass das Bundeskartellamt die
Übernahme von 92 Real-Märkten durch Kaufland genehmigt hat,
darunter auch Real Dreieich. Kaufland ist wie Lidl eine Tochter der Schwarz Gruppe. Insgesamt
gibt es z.Z. 1300 Märkte, darunter über 680 in Deutschland.
2022: Eröffnung von Kaufland im Nordpark von Dreieich
Anfang März war es dann soweit: Kaufland zog in etwas
verkleinerter Form in die große Halle mit dem Zick-Zach-Dach ein.
Neben Kaufland und Decathlon sollen neue Mieter für die
freigewordenen Flächen gefunden werden. Mehr dazu in einem Artikel der Offenbach-Post.
Bildnachweis: Archiv
Freunde Sprendlingens, Wilhelm Schäfer