Wilhelm Ott, Juni 2025
Für "alte Sprendlinger" ist der Gebäudekomplex in Norden der Stadt immer noch etwas fremd: Haus des Lebenslangen Lernens, Volkshochschule, Musikschule, Strothoff-Schule, Max-Eyth-Schule? Wir wollen uns in diesem Kapitel insbesondere der Max-Eyth-Schule widmen. Vorneweg: Diese Schule hat nichts mit der Sprendlinger Gewerbeschule zu tun, sie ist Nachfolgerin der Kreisberufsschule in Neu-Isenburg. Von der Leitung der Schule erhielten wir Fotokopien der Jubiläumsbroschüren von 2002, denen wir den Text der Geschichte der Neu-Isenburger Berufsschule Schule bis 1964 entnehmen konnten. Die Historie der Neubaus in Sprendlingen war in Form von Zeitungsartikeln dokumentiert. Die Informationen zum Campus Dreieich entnahmen wir der Website des Hauses des Lebenslangen Lernens
Abbildung oben aus Google Earth
125 Jahre Schulgeschichte: 1877 - 2002
Eine Dokumentation von I. Brandt, W.D. Gäbert, H. Göbes und W. Schwarz
Eine umfassende Schulchronik lässt sich bedauerlicherweise nicht schreiben, weil die Archivalien von den Anfängen und der weiteren Entwicklung der Schule zu den Kriegsverlusten des Jahres 1944 zählen, dem auch alle Schulunterlagen des Kreises Offenbach zum Opfer fielen.
Etwas Licht in das Dunkel der „Kinderjahre“ unserer Schule brachte eine Sichtung der Unterlagen des Stadtarchivs in Neu-Isenburg sowie des „Neu Isenburger Anzeigenblattes“, das im Archiv der Neuen Presse verwahrt wird.
Das älteste Dokument der Schule ist die Bekanntmachung des Schulvorstandes im Neu Isenburger Anzeigenblatt. Auf der Basis eines Gesetzes aus dem Jahre 1820, verfügte die Großherzogliche Kreisschulkommission am 3. November 1877, dass alle „jungen Leute der Entlassungsjahrgänge 1875, 1876, 18774 die Fortbildungsschule in Neu-Isenburg zu besuchen haben. Gemeint war mit „den jungen Leuten“ selbstverständlich nur die männliche Jugend, für die eine 3-jährige „Fortbildungsschule“ im Anschluss an ihre Volksschulzeit verpflichtend war. Schon damals musste auf den „fleißigen Besuch“ und ein „anständiges Betragen“ hingewiesen werden. Die Schule fand ausschließlich abends statt und das bei einer täglichen Arbeitszeit von ca. 10 Stunden! Unterrichtet wurden Schüler von nebenamtlichen Lehrkräften, die oftmals nicht das rechte Verhältnis zu den Berufen der Lehrlinge aufbrachten.
Über die nachfolgenden Jahrzehnte hinweg entwickelte sich Deutschland immer stärker zur Industrienation, neue technische Berufe entstanden in Industriebetrieben, Handwerksberufe veränderten ebenfalls ihr Gesicht mit der Einführung neuer Maschinen und automatisierter Produktionsmethoden. Die Anforderungen an die Lehrlinge stiegen, die Notwendigkeit einer qualifizierteren Ausbildung wurde immer offensichtlicher. Erst 1921 reagierte der Staat mit einem neuen Schulgesetz, das der zunächst „allgemeinen Fortbildungsschule“, später „Berufsschule" genannten Institution einen wesentlich höheren Stellenwert verschaffte. Die Schüler gingen jetzt tagsüber in die Schule, sollten, wie an den anderen Tagen auch, entlohnt werden, und die „jungen Leute" umfassten endlich auch die weibliche Jugend. Man kann sich vorstellen, dass es viele Widerstände zu überwinden galt. „Schulversäumnisse aus dringenden betrieblichen Gründen“ waren zunächst an der Tagesordnung. Aber auch interne Probleme existierten, da plötzlich viel mehr und höher qualifizierte Lehrer benötigt wurden.
Nach Ostern 1922 begann in unserer Schule der regelmäßige Unterricht in der ,,Allgemeinen Fortbildungsschule“ mit 260 Schülerinnen und Schülern. Karl Schlechtweg wurde der erste Schulleiter und unterrichtete bis 1932. Ihm ist es zu verdanken, dass die Berufsschule sich gegen die Widerstände im Westkreis Offenbach etablieren und ab 1932 ein eigenes Gebäude (frühere „Rosenau-Schule", Frankfurter Str. 152) beziehen konnte.
[Informationen aus dem Stadtarchiv Neu-Isenburg: Die Rosenau-Schule wurde 1911 erbaut. Sie wurde 1925 in Friedrich-Ebert-Schule umbenannt. Wie die Schule in der NS-Zeit benannt wurde, ist nicht sicher bekannt. Nach dem 2. Weltkrieg hieß sie wieder Rosenau-Schule. Im Jahr 1972 wurde sie abgerissen. Abb. StadtA NI F 2.2 Nr. 66 Bild 02].
Der zweite Schulleiter war von 1932 bis 1945 Friedrich Hill. Neben der praktischen Ausbildung der Lehrlinge im Handwerk versuchte er die Einführung einer Handelsschulabteilung mit Fremdsprachenunterricht. Diese musste aber mangels Beteiligung nach zwei Jahren wieder eingestellt werden. Lehrlinge vom Bäckerhandwerk, Fleischer, Frisöre, Schneiderinnen, Stickerinnen, Wäscherinnen bis zum Zahntechniker wurden unterrichtet. Besonders die Zahntechniker trugen den Ruf der Schule weit über die Grenzen Neu-Isenburgs und der angrenzenden Gemeinden hinaus, denn der gesamte Innungsbereich Frankfurt-Wiesbaden-Mainz schickte seine Lehrlinge in unsere Schule. Die Frage nach den „Schulbezirksgrenzen“ ist also keine neue, sie wurde damals wie heute gestellt. Unsere Schule entwickelte sich seit 1922 so prächtig, dass sie am 26. Januar 1943 zur voll ausgebauten Berufsschule erklärt wurde.
Die Einflüsse des nationalsozialistischen Staates hatten auch für unsere Schule ihre Schattenseiten. Ein Zitat aus der Chronik unseres pensionierten Kollegen Friedrich Hüther aus dem Jahre 1956 soll die Situation verdeutlichen.
Die politischen und ideologischen Umwälzungen von 1933 mit ihrem Totalitätsanspruch konnten nicht ohne Einfluss auf die Berufsschulen bleiben. Zwar blieb der Schulleiter im Amt, und insofern war wenigstens in der Leitung der Schule ein gewisses Moment der Stetigkeit gewahrt. Jedoch mussten aus dem Kollegium der Diplomhandelslehrer Hugo Heym und die Gewerbelehrerin Hedwig Jacobi ausscheiden. Der Grund des Ausscheidens kam damals vielen Schülern überraschend, die beiden Lehrkräfte waren Juden. Niemand konnte etwas an ihrer Schularbeit aussetzen, ... Jetzt mussten aus dem kleinen Lehrkörper zwei unbescholtene Kollegen ausscheiden, weil in der Politik die Ideologie die Sachlichkeit abgelöst hatte.
Der 2. Weltkrieg dünnte die Schule sehr aus. Wehrpflicht und Kriegsdienst lichteten die Reihen der Schüler und Lehrkräfte. Im März 1945 wurde die Schule geschlossen. Zitat von F. Hüther:
"Das Einzige, was die Lehrkräfte noch für die Schule tun konnten, war, dass sie Kochherde, Schreibmaschinen, Nähmaschinen, Hobelbänke und verschiedenes Werkzeug im letzten Augenblick an Privatleute oder Handwerker zu treuen Händen gaben, so dass bei einem späteren Neubeginn wenigstens etwas zur Verfügung stand. Was aber in der Schule verblieben war, wurde teils geplündert, teils völlig sinnlos demoliert... Diese sinnlose Zerstörung war nun das Ergebnis von 12 Jahren Erziehung zu straffer Disziplin seitens des NS-Staates. Die Ereignisse beim Zusammenbruch und danach haben überall bewiesen, dass wahre Disziplin nur von einem inneren, niemals aber von einem äußeren Befehl ausgehen kann. Der „kategorische Imperativ“ des Preußen Kant ist eben das wahre Preußentum."
1946 wurde der spätere dritte Schulleiter Carl Wolf beauftragt, die Schule wieder in Gang zu setzen. Bereits zwei Jahre später wurden mehr als 800 Schülerinnen und Schüler in 3S Klassen von 16 Lehrkräften unterrichtet.
In den folgenden Jahren erfuhr die Schule eine starke Umstrukturierung: bestimmte handwerkliche Berufe wurden aus Platzgründen in andere Schulen verlagert, kaufmännische und gewerbliche Berufe (Dreher, Fräser, Maschinenschlosser) kamen neu hinzu, andere verschwanden (Schuhmacher, Schneider, Wagner). Die Frage, welcher Beruf birgt die besten Zukunftsaussichten, wurde auch zu diesem Zeitpunkt gestellt. Die Schule, seit 1932 in dem Gebäude in Neu-Isenburg, platzte aus allen Nähten.
Bis zum Jahr 1955 war die Stadt Neu-Isenburg der Schulträger, obwohl 60 % der Schüler schon damals aus den umliegenden Gemeinden kamen. Zitat Hüther: „Angesichts dieser prekären Lage musste die Stadt Neu-Isenburg noch froh sein, als sie mit dem 1. April 1955 die Schulträgerschaft an den Landkreis Offenbach loswurde." Damit waren aber weder die Schulraumnot, die hohen Klassenfrequenzen noch der Lehrermangel beseitigt. Immer dringlicher wurde die Forderung nach einem Neubau gestellt.
Ende des Berichtes aus der Jubiläumsbroschüre. Die folgenden Informationen wurden den abgedruckten Zeitungsausschnitten der Broschüre entnommen.
Im März 1961 war es dann so weit: Der Kreistag beschloss, dass die neue Kreisberufsschule West nicht mehr in Neu-Isenburg, sondern unmittelbar an der Grenze zur Hugenottenstadt auf Sprendlinger Gebiet entstehen soll. Als das Plenum über diese Frage abstimmte, gingen die Meinungen - ein seltener Fall in der Geschichte des Kreistages - quer durch die Fraktionen (OP 23.03.1961). Im November 1963 fand unter Beteiligung von viel Prominenz der erste Spatenstich mit einer Planierraupe statt. Das Gelände hinter dem städtischen Sportplatz, das die Stadt Sprendlingen zur Verfügung stellte, hatte eine Fläche von 21.000 qm. Die Baukosten waren auf 5.25 Millionen DM veranschlagt. Am 09.03.1965 erhielt die Kreisberufsschule Offenbach-West gemäß eines Kreistagsbeschlusses den Namen "Max-Eyth-Schule". Max Eyth (1836-1906) war ein deutscher Ingenieur und Schriftsteller, der sich insbesondere für die Nutzung von Dampfmaschinen einsetzte. Am 17.10. 1967 wurde die Schule offiziell eingeweiht. Die Baukosten hatten sich auf über 7 Millionen DM gesteigert. Es handelte sich um "eine moderne Berufsschule in der nach neuesten pädagogischen Erkenntnissen unterrichtet wird".
Die Jahre der Bauphase wurden zur intensiven Vorbereitung des Unterrichts in der neuen Schule und zur Umsetzung neuer Ideen genutzt. Die Beschaffung der umfangreichen Neuausstattung für die verschiedenen Fachbereiche war damals für das kleine Kollegium sehr arbeitsaufwendig. Die Arbeit hat sich aber gelohnt, die Berufs- und Berufsfachschule hatten bis in die 70er Jahre im Großraum Frankfurt Modellcharakter. Sie war für zahlreiche fachkundige Besucher jahrelang ein gefragtes Anschauungsobjekt.
Heute ist das Gebäude der Max-Eyth-Schule Teil des "Campus Dreieich", das Gelände Frankfurter Straße 160-166 in Dreieich-Sprendlingen mit dem Haus des Lebenslangen Lernens (HLL), der Strothoff International School und mit Nebengebäuden wie z.B. das Parkhaus.
Das HLL umfasst den Teil des Campus, in dem sich die Räumlichkeiten befinden, die von der Max-Eyth-Schule, der Volkshochschule des Kreises Offenbach, der Schule für Erwachsene und andere Organisationen genutzt werden. Das HLL selbst unterbreitet kein Bildungsangebot, sondern stellt die Infrastruktur für die dortigen Bildungsanbieter zur Verfügung. Das HLL bietet jedoch eine Beratung zur Weiterbildung an.
Daneben gibt es noch eine ominöse Organisation namens Hessencampus, getragen vom Kreis Offenbach und dem Land Hessen, das neue pädagogische Perspektiven für die Bildung von Heranwachsenden und Erwachsenen entwickeln soll.
Entwicklung der Max-Eyth-Schule und des Campus Dreieich auf Luftbildern aus dem Bürger-GIS des Kreises Offenbach
Hier handelt es sich um zwei Luftbilder aus den Jahren 1978 (links) und 1989 (rechts). Man erkennt den Riegel des Hauptgebäudes und den städtischen Sportplatz. Auf dem Bild rechts ist der Nebentrakt und die Sporthalle erkennbar.
Das linke Bild zeigt den Zustand des Gebietes im Jahr 2006. Es hat sich gegenüber 1989 nichts Wesentliches geändert. Das Bild aus dem Jahr 2009 (rechts) zeigt im Prinzip den heutigen Zustand: den Gebäuderiegel mit den fünf "Zähnen", die Strothoff International School und das Parkhaus.
Übersichtsplan des Campus Dreieich in Sprendlingen.